Freitag, 10. Mai 2019

Wie lange dauert ein Sonnenuntergang?


In den Osterferien 2019 war ich wieder einmal bei herrlichstem Wetter auf der schönen Nordseeinsel Amrum zu Gast. Natürlich stand auch die Beobachtung eines Sonnenuntergangs auf meinem Programm. Am 16. April sollte der um 20:31 Uhr MESZ stattfinden. Doch - wie lange dauert so ein Sonnenuntergang eigentlich? Eine einfache Frage? Nicht, wenn man es genau nimmt.

Hier die erste einfache Rechnung: Die Größe der Sonnenscheibe beträgt ungefähr ein halbes Grad am Himmel. Die Erde dreht sich in 24 Stunden einmal um ihre Achse, also um 360 Grad. Der Tag hat 24h x 60m = 1440 Minuten, die Erde dreht sich also in vier Minuten um ein Grad weiter. Das bedeutet wiederum für die Sonne, sie braucht zwei Minuten, um eine bestimmte Linie am Himmel zu überqueren. Diese gedachte Linie kann ja zum Beispiel unser Horizont sein. Etwa so wie hier auf diesem Bild:

Sonnenuntergang auf Amrum am 16. April 2019 um 20:31 Uhr

Doch ganz so einfach ist es nicht. Zunächst einmal ist die Sonne nicht immer gleich groß, denn die Erde dreht sich nicht auf einer perfekten Kreisbahn, sondern auf eine Ellipsen-Bahn um die Sonne. Dadurch ist sie im Sommer (Juli) etwas weiter von der Sonne entfernt als im Winter (Januar). Dies bedeutet konkret, die Sonne braucht im Januar zwei Minuten und zehn Sekunden, im Juli sind es (weil sie ja minimal kleiner ist) vier Sekunden weniger. Jetzt zu Ostern sind wir sozusagen "etwa in der Mitte", also dauert ein Sonnenuntergang zwei Minuten und acht Sekunden ?

Nein, denn wir müssen berücksichtigen, dass wir ja nicht beim Äquator stehen, wo die Sonne z.B. am Frühlingsanfang exakt senkrecht den Horizont durchlaufen würde, sondern an der deutschen Nordseeküste. Hier sinkt die Sonne "schräg" ins Meer. Und das verlängert den Sonnenuntergang natürlich. Noch weiter nördlicher würde die Sonne noch flacher ins Meer sinken - und am Nordpol würde sie schon seit Frühlingsanfang ständig scheinen, da gäbe es bis zum Herbst ja gar keinen Sonnenuntergang mehr.

Was macht also die geographische Breite aus? Mein Standort auf Amrum liegt bei 54,667° Nord

Auf der Webseite "Welt der Physik" gibt es dafür ein schöne Berechnung mit Herleitung und Erklärung der notwendigen Formeln.  Ich erspare ihnen hier das Berechnen der Formeln und Einsetzen aller exakten Werte. Wenn ich mich nicht verrechnet habe, komme ich für den 16. April für meinen Standort auf Amrum auf eine Zeit von vier Minuten und 18 Sekunden für die tatsächliche Dauer des Absinkens der Sonnenscheibe unter den Horizont.

Das ist ja schon gut doppelt solange wie in der ersten einfachen Überschlagsrechnung! Wird das stimmen? Machen wir doch einfach mal einen Praxistest, eine kleine wissenschaftliche Beobachtung. Also: ab nach draußen an den Strand!

Hier jetzt erst mal ein paar Bilder. Angegeben habe ich immer die Zeiten, wie sie meine Kamera in den Bilddaten angegeben hat. Ein späterer Vergleich mit der tatsächlichen Uhrzeit hatte übrigens ergeben, meine Kamera geht 16 Sekunden vor. Doch das ist fürdie Bestimmung der "Dauer" eines Sonnenuntergangs eigentlich auch unerheblich.

Hier beginnt der Sonnenuntergang am 16. April - Aufnahme von 20h:28m:31s

Nur vier Sekunden später, um 20h:28m:35s erscheint der Sonnenrand leicht abgeplattet - der Untergang hat wirklich begonnen.

Ausgerechnet zum Sonnenuntergang fährt ein Fischkutter genau in meine Sichtlinie - Foto von 20h:32m:12s
Jetzt ist der Fischkutter durch und die Sonne weg: 20h:32m:38s
Das waren genau vier Minuten und sieben Sekunden. Okay, ich denke mir, im Rahmen eines so einfachen Versuchsaufbau, und der Ungenauigkeit in der Auswertung  (wann "berührt" die Sonne tatsächlich den Horizont?), können wir mit dem Ergebnis doch recht zufrieden sein.

Es gibt jedoch noch ein weiteres optisches Phänomen, das unsere Sonnenuntergänge beeinflusst. Das ist die optische Brechung der Lichtstrahlen in unserer Atmosphäre. Der Fachausdruck dafür lautet "Refraktion". Er wird recht gut auf der Webseite "timeanddate" beschrieben. Praktisch bedeutet dies, das unser Bild der Sonne durch die Lichtbrechung in Horizontrichtung angehoben wird, wir also die Sonne tatsächlich noch sehen können, obwohl sie in Wirklichkeit schon unter dem Horizont versunken ist.

Diese Refraktion wird im übrigen von allen ernsthaften Sonnenauf- und untergangsberechnungen berücksichtigt. Sie macht am Horizont laut Wikipedia etwa 0,5° bis 0,6° Grad aus. Dies wird z.B. auf der Webseite von heavens-above deutlich, wenn sie angeben, dass im Moment des Sonnenuntergangs um 20:31 Uhr diese bereits -0,8° Grad unter dem Horizont stehe. Eigentlich würde man ja exakt 0° Grad erwarten, oder? Bei diesen Berechnungen wird immer vom "Sonnenmittelpunkt" ausgegangen, wenn dieser den Horizont überschreitet, gilt die Sonne als aufgegangen bzw. wenn dieser den Horizont unterschreitet gilt die Sonne als untergegangen. Also ein halbes Grad für die Refraktion plus ein Viertelgrad für den Sonnenradius, da liegt man mit -0,8° Grad für den "wahren" Sonnenort im Moment des Sonnenuntergangs schon nicht ganz falsch.

Und es erklärt auch, warum mein tatsächlicher Sonnenuntergang doch etwas später war als bei heavens-above oder anderswo angegeben wurde, denn auch die letzter Teil der Sonne musste bei mir ja richtig unter den Horizont.

Zwei Tage später war ich wieder am Strand zum Sonnenuntergang. Und diesmal wurde es noch spannender! Heute sollte die Sonne um 20:35 Uhr untergehen, also vier Minuten später.

Hier wieder ein paar Fotos:

Der Sonnenuntergang beginnt - Foto von 20h:31m:25s

Foto von 20h:31m:35s - Ohje, jetzt ist die Sonne ja richtig "abgerundet". Hat sie nun schon den Horizont berührt oder noch nicht?

Foto von 20h:31m:41s

Foto von 20h:35m:31s - sollte sie jetzt nicht schon fast verschwunden sein?

Foto von 20h:36m:31s - noch nicht weg!

Foto von 20h:37m:33s - immer noch nicht weg!

Foto von 20h:38m:27s - der allerletzte Sonnenstrahl (Ausschnittsvergrößerung)

Foto von 20h:38m:31s - jetzt ist sie wirklich weg

Der Sonnenuntergang hat pünktlich begonnen, etwa vier Minuten vor dem vorhergesagten tatsächlichem Verschwinden. Doch dann wollte und wollte sie nicht untergehen. Bis auch der letzte Sonnenstrahl verschwunden war, hat es diesmal etwas über sieben Minuten gedauert!

Wie kann das sein, dass ein Sonnenuntergang einmal vier Minuten dauert und nur zwei Tage später gleich sieben Minuten?

Am 19. April war ich noch einmal am Strand. Diesmal mit einer etwas anderen Kamera. Auch hier wieder ein paar Fotos:

Sonnenuntergang am 19. April - Foto von 20:29 Uhr, hier ist sicherlich noch etwas Zeit bis zum Beginn ...
 Der Sonnenuntergang war für 20:37 Uhr angesagt. Vier Minuten vorher ist bereits eine deutlich Verformung der Sonnenscheibe zu erkennen:

20:33:17 Uhr - Hat der Sonnenuntergang nun begonnen oder nicht? Eine Verformung der Sonnenscheibe ist unverkennbar.

20:33:59 Uhr - jetzt hat er sicherlich begonnen - obgleich die Sonne immer noch über dem Horizont zu schweben scheint.

20h:34m:28s Uhr

20:37:24 Uhr - sollte sie jetzt nicht weg sein?

Letzte Strahlen, schon wieder Minuten nach dem berechnetem Zeitpunkt.

20h:40m:49s - ein letzter Strahl ist noch zu erkennen...

20h:41m - nun ist sie doch endgültig weg.
Diese letzte Aufnahmeserie zeigt, dass schon der Beginn des Sonnenuntergangs nicht immer einfach zu bestimmen ist. Aber auch diesmal scheint der Sonnenuntergang in etwa vier Minuten vor dem berechnetem Untergangszeitpunkt zu beginnen. Das wurde ja auch durch die Serien der Tage zuvor in etwa bestätigt. Aber auch am 19. Mai hat es dann noch einmal vier Minuten gedauert, bis auch der letzte Sonnenstrahl weg war.

Und wenn sie die letzten Bilder ganz genau betrachten, kann man sogar sehen, wie dieser letzte Sonnenstrahl am Horizont langsam nach rechts (also in Richtung Norden) wandert. Mit bloßem Auge habe ich es zunächst auch nicht gesehen, sondern erst auf diesen Fotos erkannt: Vor dem Horizont befindet sich noch eine Sandbank (der "Jungnamensand"), auf der wohl ein paar Robben liegen. Geht man davon aus, das diese sich nicht gleichzeitig nach links (also Richtung Süden) vorgerobbt haben, können wir sie als feste Marke nutzen und stellen fest, um 20:37 Uhr befanden sie sich ziemlich genau in Richtung Sonne. Vier Minuten später befinden sie sich deutlich weiter links, etwa zwei Sonnendurchmesser. Laut heavens-above befand sich die Sonne um 20:37 Uhr bei einem Azimut von 291°, vier Minuten später hat sich die Erde um ein Grad gedreht und die Sonne befindet sich bei 292° Grad und 1,5° Grad unter dem Horizont. Eine weitere schöne Bestätigung, dass in der Tat der allerletzte Sonnenstrahl auch immer noch von unserer Sonne gekommen sein wird und nicht durch irgendeine andere Reflexion von Licht entstanden sein kann.

Doch woran liegt es nun, dass diese Sonnenuntergänge etwa doppelt so lange dauern wie sie eigentlich "dürfen"? Daran ist einfach nur das Wetter schuld! Denn die atmosphärische Refraktion ist abhängig vom Luftdruck, so schreibt es ja auch "timeanddate": "Je niedriger die Temperatur und je höher der Luftdruck, desto größer der Unterschied." Ob das wirklich der Fall war, habe ich natürlich nicht gemessen. Aus den Daten von Wetteronline konnte ich jedoch entnehmen, dass der Luftdruck an der Nordsee (Wetterstation auf Sylt) vom 16. zum 18.April von 1023 hPa auf  1031 hPa gestiegen war und zum 19. April noch einmal um 1034 hPa, das passt also. Die Luft-Temperatur auf der Insel war zwar auch etwas angestiegen, hier dürfte aber eher die Temperatur des Wassers entscheidend sein, welche sich jedoch innerhalb von zwei/drei Tagen kaum geändert haben kann.

Der letzte Verweis in diesem Artikel mag noch an eine weitere Webseite gehen. Auf sonnenuntergang.de fand ich noch diesen Hinweis:

"Oft begleiten beindruckende Farbspiele die Sonnenuntergänge. Nicht nur das berühmte Abendrot, auch gelb, violett sogar grüne Farbtöne sind oft zu sehen. Auch hier wirkt wieder die Strahlenbrechung der Atmosphäre. Die schwebenden Partikel der Erdatmosphäre dienen dabei als diffuses Medium der Streuung. Blaues Licht wird stärker gestreut wie rotes, und deshalb sehen wir mehr rotes Licht. Auch kann sich ein Prismeneffekt einstellen, wenn bestimmte Temperatur Schichtungen vorhanden sind. Da Resultat ist ein „Grüner Blitz“. Bei diesem Phänomen ist der rote Anteil der Sonne zuerst verschwunden, so dass ein grünlicher Saum aufblitzt. 

Doch all dieses Wissen um physikalische Hintergründe und nüchternen Fakten ändern nichts an der Tatsache, dass der Sonnenuntergang ein Ereignis ist, das jeden von uns in seinen Bann zieht und immer wieder aufs Neue fasziniert."

Einen grünen Blitz habe ich nicht gesehen. Doch besonders dem letzten Satz ist nichts hinzuzufügen:  Natur und Wissenschaft ist immer wieder faszinierend!

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